Schule als Ort des Dialogs?
Vortrag und Gespräch mit Dr. Siegfried Daeschler-Seiler
Kann die Schule ein besonderer Ort, der Ort eines wirklichen Dialogs sein? Darüber sprach im Rahmen der Veranstaltungsreihe zum 40jährigen Jubiläum des Albertus-Magnus-Gymnasiums Dr. Siegfried Daeschler-Seiler. Daeschler-Seiler war lange Jahre Dozent für Allgemeine Pädagogik an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg, er lehrt zurzeit an der Universität Heidelberg. Das AMG kennt er auch aus Elternsicht, denn seine drei Söhne haben dort ihr Abitur gemacht.
In seiner Begrüßung zitierte Schulleiter Georg Braun den emeritierte Bischof von Rottenburg Stuttgart, Dr. Gebhard Fürst, für den die katholischen Bildungsorte gleichzeitig „Hoffnungsorte“ sind. Wesentliche Herausforderungen sieht Fürst darin, dass katholische Schulen zu Dialog und Frieden erziehen sollen, dass sie Partizipation fördern und dass sie eine lebendige Form der Kommunikation, auch der Glaubenskommunikation, führen – offen und ohne Bevormundung. Dies sei, so Braun, ein hoher Bildungs-Anspruch und Erziehungsauftrag für Schulen: „Kann das überhaupt gehen, da Schule doch oft eingezwängt ist in ein Korsett aus Vorschriften und Verordnungen?“
Daeschler-Seiler stellte aktuelle Beobachtungen und relevante theoretische Positionen (etwa von Uri Bronfenbrenner) an den Beginn seiner Ausführungen: Der Wandel zum „Fernunterricht“ am PC, befördert durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie und den allgemeinen Trend zur Digitalisierung, habe vor allem eines gezeigt, nämlich die Unersetzlichkeit des Präsenzunterrichts. Die Verweildauer in der Schule hat sich, so Daeschler-Seiler, zudem ausgedehnt, sie sei, wie manche sagten, zu einem „Internat ohne Übernachtung“ geworden. Den Begriff „Lebensraum“ hält Daeschler-Seiler für die Schule für diskussionsfähig. Die geltenden Rahmenbedingungen skizzierte er im Blick auf die Möglichkeit einer menschlichen Begegnung, eines wirklichen Dialogs, als komplex und nicht immer einfach.
Der Referent stellte anschließend Aspekte der Schrift „Ich und Du“ des Religionsphilosophen Martin Buber (1878–1965) vor, die im Jahr 1923 erschien. Bubers Denken sei von Wortpaaren geprägt, von den Wortpaaren „Ich-Du“ und „Ich-Es“. Das letztere bezeichnet nach Buber die (nur) sachliche, dinghafte Beziehung zur Welt. Davon abzugrenzen ist die personhafte Begegnung mit einem Du, ein offenes Gespräch, das an die Grundfragen des Lebens rührt. Solche existentiellen Begegnungen seien auch für Schülerinnen und Schüler wegweisend und weiterführend, so Daeschler-Seiler, im Gedächtnis blieben aber eher misslungene Situationen, wenn man nach persönlichen Erfahrungen frage.
Den Dialog sieht Daeschler-Seiler als „unterschätztes Potential“ der Schule an, weil er über Unterrichtsgespräche, tagtägliche Absprachen und Small Talk eben weit hinausgehe. In ästhetischen Erlebnissen, Situationen auf Ausflügen, in weitgehend unbeachteten, kleinen Momenten im Klassenzimmer oder auf dem Gang des Schulhauses könne er sich ereignen. Dialogfähigkeit (und ziviles Verhalten allgemein) sollten aus seiner Sicht ständig eingeübt werden. Das Ziel seien „Inseln des Dialogs“: positive (nicht als Flucht) gemeinte Erfahrungen und Situationen.
Seine Zuhörer, Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, Mitarbeiter des Ganztagesbereichs, aber auch Schülerinnen und Schüler lud Daeschler-Seiler anschließend zu einem Gespräch ein. Es wurde u.a. über die Möglichkeit des bewussten Arrangierens solcher Situationen, etwa bei einem Austausch, gesprochen, oder die Frage diskutiert, ob ein Dialog nur etwas für ein Zweiergespräch oder, unter bestimmten Bedingungen, doch etwas für eine Gruppe sei.
„Kitsch“ oder allzu positive Konzepte wolle er aber nicht anbieten, warnte Daeschler-Seiler, in der Schule müsse der Dialog immer wieder neu erprobt werden – „Tag für Tag“.
Foto 1: Dr. Siegfried-Daeschler-Seiler (Foto: Hagemann)
Foto 2: Zuhörer in der Mensa des AMG (Foto: Hagemann)
Foto 3: Dr. Siegfried-Daeschler-Seiler und Schulleiter Georg Braun während der Diskussion (Foto: Hagemann)