Cannstatter Synagogenplatz
„Wie erinnern? Wir erinnern.“
20 Jahre Schulprojekt „Cannstatter Synagogenplatz“, Ausstellungseröffnung im AMG
Die Veranstaltungsreihe zum 40jährigen Jubiläum des Albertus-Magnus-Gymnasiums fand mit einer Ausstellungseröffnung ihren Abschluss. Unter dem Titel „Wie erinnern? Wir erinnern“ wurde das „Projekt Cannstatter Synagogenplatz“ präsentiert, das vor 20 Jahren der Öffentlichkeit übergeben wurde. Außer den Schülern und Schülerinnen des AMG und ihren Lehrerinnen und Lehrern waren zahlreiche Gäste anwesend, etwa aus der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs, vom Lernort Geschichte oder den Stolperstein-Initiativen. Musikalisch wurde die Veranstaltung wurde von Renate Busse (Violoncello) und Manuel Knoll (Klavier) umrahmt: Das Duo spielte Kompositionen des jüdischen Künstlers Joachim Stutschewsky (1891-1982).
Schulleiter Georg Braun knüpfte in seinen Begrüßungsworten zunächst an den Titel der Ausstellung an: „‘Wir erinnern‘ heute und jetzt mit dieser Ausstellung an ein Schulprojekt und halten dadurch die Erinnerung mahnend wach an den grausamen, historisch-politischen Hintergrund, der damit verbunden ist: Ausgrenzung, Deportation und Holocaust“. Dass die „Erinnerung nicht enden darf“, hob er als Auftrag „an uns als katholische Schule, an uns als Christen und an alle, die mit der Erziehung und Bildung junger Menschen betraut sind“ hervor. „‘Die Erinnerung an den Holocaust ist wichtig‘“, zitierte Braun Papst Franziskus, der seinen Appell „‚vor allem an Lehrkräfte und an die Familien‘ richte, mit dem Auftrag, ‚in den neuen Generationen das Bewusstsein zu fördern, wie furchtbar diese schwarze Seite der Geschichte war‘“.
Vier Schülerinnen und Schüler stellten anschließen die Stationen des Projekts vor und reflektierten in ihren Beiträgen auch über den angemessenen Umgang mit der Erinnerung. Ein einziges Foto habe sich von der Synagoge Cannstatt erhalten, so Marilea John und Fiona Hügler. Kleinere Spuren fänden sich aber auch in der Autobiographie von Hannelore Marx (1922-2017), deren Großeltern in Cannstatt wohnten. Die kleine, aus Holz gebaute Synagoge sei 1938 von den Nationalsozialisten zerstört worden.
Den Weg zum Schulprojekt skizzierte Leonard Volk: „Im Zusammenhang mit dem Wettbewerb für das Berliner Holocaustmahnmal, das „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“, veranstaltete das Albertus-Magnus-Gymnasium 2001 einen Workshop mit dem Künstler Michael Deiml“, erinnerte Leonard Volk. „Den Schülerinnen und Schülern wurde die Aufgabe gestellt, den Cannstatter Synagogenplatz neu zu gestalten. Der überzeugendste Entwurf sah ein ‚befahrbares Denkmal‘ vor, verfremdete Verkehrsschilder, geschwärzte Holzbalken und biographische Tafeln, um individuell zu erinnern.“ 2004 bzw. 2022 seien diese Ideen dann umgesetzt worden.
Aaron Burkert wies abschließend auf die schwierige Diskussion über die Formen der Erinnerung, besonders auch auf die Mahnung des ehemaligen Bundespräsidenten Gauck hin, dass das Gedenken „zu einem Ritual, sogar zu einer leeren Hülle“ erstarren könne, wenn man sich nicht immer wie neu dafür engagiere.
Frau Antje Sartorius vom Stadtplanungsamt Stuttgart hob in ihrer Ansprache hervor, wie über die gewohnte Arbeitsroutine beim Neu- und Umgestalten öffentlicher Flächen hinaus der Cannstatter Synagogenplatz eine besondere Herausforderung für sie gewesen sei. Über ein Vortasten in einen bisher unbekannten Bereich hinaus sei es auch um emotionale Faktoren wie die Frage nach Schuld und Verantwortung gegangen.
Der Cannstatter Landschaftsarchitekt Wolfgang Blank berichtete von seinem Auftrag, diesen „vernachlässigten und vollkommen überformten Gedenkort“ noch einmal neu zu gestalten. Schwierig sei es schon gewesen, den „genius loci“ zu erspüren: „Wo war die Synagoge? Wieso ist da jetzt ein Bunker, eine Tiefgaragenzufahrt, ein öffentlicher Parkplatz, ein privater Parkplatz, ein Sexshop, ein arabisches Café, drei große Hainbuchen und eine Granitstele mit einem unleserlichen Gedenkspruch in einer friedhofsartig gestalteten Baulücke? Wir studierten historische Bebauungspläne und aktuelle Katasterkarten – aber auch die Eigentumsverhältnisse dieses Ortes waren (und sind) völlig verworren. Nicht nur die Stadtplanung hatte im Laufe der Zeit den Ort der ehemaligen Synagoge durch neue Bebauung vollkommen aus dem Stadtbild verbannt, auch der Verkauf und die mehrmalige Teilung der Grundstücke hat den Ort in den Akten und Archiven fast verschwinden lassen!“
Das Büro Blank entwarf nach langen Vorarbeiten ein „Gestaltungskonzept mit sieben großen Glasstelen“, das in Cannstatt gut angenommen werde. „Erinnerung braucht die Originalschauplätze“, so Wolfgang Blank zum Schluss seine Ausführungen, „besonders, wenn keine Zeitzeugen mehr leben! Am Synagogenplatz ist sehr deutlich sichtbar, wie Erinnerungsorte und Tatorte ganz allmählich bis zur Unkenntlichkeit überformt werden und mit den Orten auch die Erinnerungen verschwinden können. Deshalb möchte ich die Schule hier ermuntern, sich weiter für den Synagogenplatz zu engagieren, den Ort auch immer wieder zu besuchen und ihn im Rahmen von künftigen Kunst- und Kulturprojekten -z.B. beim Cannstatter Kulturmenü 2025 – als Erinnerungsort im öffentlichen Bewusstsein weiter fest zu verankern!“
Artikel von Heidi Hechtel in den "Stuttgarter Nachrichten", 16.07.2024 https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.synagogen-projekt-an-stuttgarter-gymnasium-ein-denkmal-als-erfahrung-fuers-leben.591d493f-a86f-4c51-9221-1ef3d3889918.html
Fotos: Hagemann
1 Schulleiter Georg Braun bei seinen Begrüßungsworten
2-4 Schülerbeiträge bei der Veranstaltung in der Aula
5 Natalie Savinov (Siegergruppe des Schülerprojekts, 2001) und Aaron Burkert
6 Gäste vor der Galerie
7 Schülerinnen und Schüler vor den Exponaten
8-10 Exponate
11 abendlicher Empfang in der Aula